Vagabunden

Einfach mal für ein paar Tage drauflos – in diesem Sommer mit seinen langen Hockdruckperioden war das allemal möglich. Josy und Wolfgang Zeyen sind mit ihrem B-Falken die deutschen Küsten abgeflogen.

Auf dem Turm von St. Michaelisdonn – im Kreis Dithmarschen im westlichen Schleswig-Holstein gelegen: Ich will gerade meine Landegebühr bezahlen, als das Telefon klingelt. Wilfried ist am Rohr, seine Grüße habe ich Uwe, dem Flugleiter von St. Michaelisdonn, bereits ausgerichtet: „Ist der Falke heile angekommen?“ Wilfried wiederum ist Flugleiter auf Langeoog, wenn er nicht gerade auf der Düne von Helgoland Dienst schieben muss. Langeoog ist im lieber, „das ist nicht so einsam wie die Düne von Helgoland, wo man morgens mit dem Boot rüber macht und erst abends wieder zurück kann auf die Hauptinsel.“ Wilfried hat sich Sorgen gemacht, seitdem wir morgens in Langeoog gestartet sind, anderthalb Flugstunden bei strammem Gegenwind über offenes Wasser quer über die Deutsche Bucht und die Elbemündung bis nach Dithmarschen hinein. Wir wollen weiter nach Wismar, aber das ist schon der zweite Teil einer Geschichte, die in der Eifel begonnen hat.

Start in Wershofen

Wir besitzen unseren B-Falken gerade erst mal ein paar Tage, viel mehr als den Überführungsflug aus dem Odenwald und ein paar abendliche Platzrunden mit unseren Kindern in Wershofen kann ich in Sachen Erfahrung mit dem 50 Jahre alten Flieger nicht vorweisen. 45 Pferde hat der Stamo-Motor, der bereits seit 100 Stunden On Condition läuft.

Ein paar Tage sind noch übrig vom Jahresurlaub, mit dem Camper zur Travemünder Woche – einem der größten Segelevents weltweit – oder mit dem Flieger Richtung Küste die Alternativen. Stundenlang habe ich gegoogelt, um mitten in der sommerlichen Hochsaison Hotelzimmer an der Nord- oder Ostseeküste zu finden – eigentlich egal, wo. Ein Doppelzimmer auf Langeoog für den ersten Abend ist schließlich der dürftige Erfolg langen Suchens – die Entscheidung für den Flieger steht dennoch.

Mini–Gepäck

Damit ergibt sich auch die Route für den ersten Tag beinahe von selbst: Von Wershofen zum Tanken nach Stadtlohn-Verden an der holländischen Grenze, weiter nach Norddeich – hier wieder tanken, da es auf keinem der Flugplätze auf den ostfriesischen Inseln Sprit gibt. Unsere Packliste erinnert stark an die früherer Motorradreisen: Pro Tag ein T-Shirt, Unterwäsche in gleicher Menge, Zahnbürsten, ein paar Beauty-Sachen für die Copilotin – zehn Kilo Gepäck darf der Falke zuladen, vollgetankt bleiben wir sogar zwei Kilo unter MTOW. Vollgetankt bedeutet bei unserem Falken übrigens 28 Liter ausfliegbar, unsere Vorbesitzer haben den Verbrauch mit acht Litern pro Stunde angeben, mangels Erfahrung mit dem Flieger mag ich die Etappen dennoch nicht deutlich über zwei Stunden strecken.

Donnerstagmorgen in Wershofen, unser Sohn gibt den Flugleiter – wir starten bei strammem Crosswind auf der 24, der Falke tut sich ein bisschen schwer mit den Bäumen am Platzende, wir haben auf dem 480 Metern hoch gelegenen Platz bei den typischen Temperaturen dieses Sommers eine Dichtehöhe von deutlich über 1.000 Metern, das spürt man mit nur 45 Pferden. Aber alles gut – es sollten im Laufe der nächsten Tage noch zwei Situationen kommen, wo wir kurz vor einem Startabbruch standen. Wir haben für Berechnung der Dichtehöhe übrigens mit AutoDens eine kostenlose I-Phone-App genutzt, die gut funktioniert.

Bis Stadtlohn brummen wir mit 2.400 Touren, 90 km/h auf dem Stau, langsam unter den Lufträumen von Köln, Düsseldorf und mangels Transponder auch unter der TMZ Niederrhein her. Bei Wesel überqueren wir Vater Rhein in Richtung Osten und finden uns schon bald darauf im Sinkflug auf Stadtlohn wieder. Tanken – Stadtlohn hat Mogas – eine große Cola und weiter geht´s Richtung Norden. Wir navigieren – abgesehen vom üblichen Papierkram – hauptsächlich mit SkyDemon auf dem I-Phone. Irgendwo in der Nähe von Varrelbusch bitte ich die Beste aller Copilotinnen, doch mal die Helligkeit des Displays zu checken, da das I-Phone im hellen Sonnenlicht so verdammt schlecht abzulesen ist. Die Folge: Display plötzlich ganz Dunkel, wir navigieren bis Norddeich so, wie wir das vor 25 Jahren mal gelernt haben mit Kompass und Karte.

Tanken in Norddeich

Norddeich ist neben Harle einer der beiden Hauptstützpunkte der Inselflieger, die vom Festland aus die ostfriesischen Inseln mit allem versorgen, was nicht auf die Fähre kann oder will – angefangen von der Post, Kinofilmen über Lebensmittel bis hin zu Passagieren. Norddeich hat deshalb einen richtigen kleinen Passagier-Terminal, die dort wartenden Passagiere scheinen sich ein wenig über die beiden verschwitzten Luftwanderer zu wundern, die da plötzlich von der Rollbahnseite her im Terminal auftauchen. In einer dunklen Ecke bekommen wir das I-Phone wieder ans Laufen. Alles gut!

Anflug auf Langeoog

Der Hopser hinüber nach Langeoog – vorbei an Norderney und Baltrum – ist mit zwanzig Minuten eigentlich viel zu kurz. Wir waren beide noch nie an der Nordseeküste – warum auch immer -, der Ausblick über das Wattenmeer, die links von uns wie eine Perlenkette aufgereihten Inseln, die unglaubliche Farbenvielfalt im flachen Wasser, einfach atemberaubend.

Flugplatz Langeoog

Nach dem Abstellen auf Langeoog lernen wir auf dem Turm Wilfried kennen. Der Flugleiter interessiert sich sehr für unseren Falken, Flugzeuge mit nur 45 Pferden scheint man auf den Inseln nicht allzu häufig zu sehen zu bekommen. Wie lange wir den schon hätten, wie teuer der gewesen sei? Als er hört, dass wir bislang nur eine Übernachtung sicher haben, versucht er einen Platz in der örtlichen Jugendherberge für uns zu finden – alles voll, war ja klar.

Strandspaziergang

Langeoog ist wie viele der ostfriesischen Insel autofrei, also geht´s per Pedes zu unserem Hotel. Der Abend bringt neben Matjes nach Hausfrauen Art und einem großen Bier vor allem einen langen Strandspaziergang mit den Füßen im beinahe schon lauwarmen Wasser der Nordsee inklusive einem Sonnenuntergang, wie wir ihn bei uns in der Eifel eigentlich nie zu sehen bekommen.

Am nächsten Morgen erhalten wir Hilfe von der Rezeptionistin unseres Hotels. Sie findet ein Doppelzimmer in Wismar direkt am Hafen – da waren wir auch noch nicht, warum also nicht Wismar? Wir haben ziemlichen Ostwind, ohne Stopp würden die 260 Kilometer hinüber an die Ostsee nicht gehen, also planen wir eine Tankpause in St. Michaelisdonn.

„Schöner Start“ ruft uns Wilfried nach dem Abheben nach. Klar, auf Meereshöhe, bei morgendlich frischen Temperaturen und dem Wind genau auf der Nase hebt auch so ein 45-PS-Falke flott ab. Wir hangeln uns in etwa 3.000 Fuß an den ostfriesischen Inseln entlang, bis zum Flugplatz Wangerooge bleibt das beruhigende Gefühl ja notfalls irgendwo landen zu können. 70 km/h Groundspeed, SkyDemon zeigt uns plötzlich jenen Radius an, den wir im Fall eines Motorausfalls noch gleiten könnten. Land würden wir schon nach ein paar Minuten über Wasser trotz Gleitzahl 20 nicht mehr erreichen. Und plötzlich macht der gute, alte Stamo Geräusche, die er nie zuvor gemacht hat. Irgendwie läuft das Ding doch rauher als sonst? Ich erwische mich bei der Überlegung, ob die eine oder andere Sandbank unter uns im Notfall wohl landbar wäre, haben wir eigentlich Ebbe oder Flut? Würden wir nach der Landung auf so einer Sandbank dann doch noch irgendwann nasse Füße bekommen? Alles Paranoia! Der Stamo schnurrt wir eh und je, die Beste aller Copilotinnen bekommt von all diesen dunklen Gedanken nix mit.

Vor dem Trip übers Wasser

In St. Michaelisdonn sind wir schließlich zu Gast im Clubheim des Dithmarscher Luftsport Vereins: „Hier ist der Getränkeautomat, dort die Spülmaschine, bedient Euch!“ Die Nordlichter sind irgendwie kurz angebunden, aber nett.

Schleswig-Holstein wirkt nach den beeindruckenden Aussichten über den friesischen Inseln und der Nordsee schon beinahe langweilig – wir erkennen die Zelt-Stadt, die das Hardrockfestival in Wacken markiert, wir überqueren den Nord-Ostsee-Kanal, das war´s auch schon mit den landschaftlichen Highlights. Das ändert sich erst wieder, als die Ostseeküste in Sicht kommt. Wir sehen schon aus der Ferne das Maritim-Hotel von Travemünde, das an der Mündung der Trave alle anderen Gebäude der Stadt überragt. Gegenüber liegt die Viermastbark Passat, dazwischen unzählige Boote, Fähren, die das Zentrum von Travemünde mit dem Privall verbinden. In der Lübecker Bucht machen wir die Regatten der Travemünder Woche aus.

Travemünder Woche

Im Funk ist der Türmer von Wismar bereits zu hören, irgendjemand dreht Platzrunden. Aber als ich mich eine halbe Stunde später anmelden möchte, Schweigen im Walde. Laut AIP ist Wismar bis Sunset geöffnet – und das sind noch ein paar Stunden hin. Wir entschließen uns schließlich zu einem Überflug und landen am Ende auf der 08. Am Boden kein Mensch! Turm geschlossen, Tankstelle geschlossen! Unter der angegebenen Telefonnummer nur der Anrufbeantworter! Nach einer halben Stunde vergeblichen Wartens in brütender Hitze rufen wir ein Taxi und lassen uns in die fünf Kilometer entfernte Stadt kutschen.

Matjes und Bier

Das heute Morgen von Langeoog gebuchte Hotel ist ein Traum, direkt am Hafen gelegen, fünf Minuten zu Fuß bis ins Zentrum der alten Hansestadt. Ein echter Glücksgriff. Kulinarisch läuft der Abend wie gestern – Matjes und Bier. Aber es ist die Nacht der vollständigen Mondfinsternis, ganz Wismar scheint bis spät auf den Beinen – wir auch. Die Hitze des Tages legt sich nur ganz langsam, wir finden spät ins Bett.

Am nächsten Morgen mit dem Taxi wieder zurück zum Flugplatz: Der Falke steht noch da, wo wir ihn am Vortag abgestellt haben. Mittlerweile ist auch jemand da, der die sechs Euro Landegebühr vom Vortag kassieren kann. Einen Schlüssel für die Tankstelle aber gibt´s immer noch nicht. Zwölf Liter haben wir noch im Tank, reicht für eine gute Stunde Flugzeit. Wir entscheiden uns für den Flugplatz Purkshof, einem Grasplatz östlich von Rostock, auf dem der Flieger Club Rostock zu Hause ist. Beim Start auf der 08 in Wismar – Graspiste, bergauf, selbst am frühen Morgen schon beinahe 30 Grad – kommt der Falke nur zäh in Schwung. Es reicht schließlich über die Bäume am Platzende, vielleicht wäre ein Rückenwindstart bergab besser gewesen?

Den Purkshof erreichen wir nach einer dreiviertel Stunde Flugzeit direkt über Rostock mit seinen vielen Plattenbauten. Der Anflug auf die 04 vom Purkshof führt in niedriger Höhe direkt über den Erlebnis-Bauernhof in Rövershagen hinweg, selbst zu dieser frühen Tageszeit sind die Parkplätze rappelvoll, der Falke scheint aber im Leerlauf so leise zu sein, dass sich die Gesichter der Besucher kaum nach oben wenden. Der Grasplatz ist von einer Vielzahl von Landebahnen und Taxiways durchzogen, die sich auf der riesigen Grasfläche kaum von der Umgebung abheben. Da muss man schon genau hin gucken, wo man landet. Aber endlich können wir mit dem Falken mal wieder an eine Zapfsäule rollen. Im Clubheim des FC Rostock frischen wir unsere Wetter-Infos auf, von Westen her – aktuell noch westlich einer Linie Hamburg-Nürnberg – nähert sich eine Gewitterfront, der Weg zurück ist also auf jeden Fall versperrt.

Der Plan lautet schließlich wie folgt: Wir fliegen den Darß entlang über Usedom bis nach Anklam, wo an diesem Wochenende das Vortreffen zum Vintage Glider Meeting stattfindet, von da aus mit einem weiteren Tankstopp östlich um Berlin herum bis nach Reinsdorf, wo uns unsere Freunde Chrysanthi und Lambert vom Aero Club Berlin sicher eine Übernachtung organisieren können.

Darßer Ort und Nothafen

Gesagt, getan – und kaum fünf Minuten in der Luft ist der schöne Plan schon wieder Makulatur. Die Rostocker rufen uns per Funk hinterher, dass Anklam eben wegen des Vintage Glider Meetings geschlossen sei. Die Runde über Fischland und Darß aber wollen wir uns nicht verkneifen. Wir haben schon einige Male auf Fischland-Darß Urlaub gemacht und viele, viele Luftbilder dieser faszinierenden Landschaft geblättert. So fliegen wir also den berühmten Weststrand entlang, der als einer der schönsten Strände weltweit gilt, bis hinauf zum Darßer Ort, am Nothafen – wo der Seenotkreuzer Theo Fischer liegt – und am Regenbogencamp Prerow vorbei, wo man tatsächlich ganz offiziell in den Dünen der Ostsee zelten darf. Am Prerow-Strom und am Seebad Zingst entlang biegen wir schließlich nach Süden über die Vinetastadt Barth ab und landen auf dem Ostsee-Flughafen Stralsund-Barth. Die Wetterentwicklung macht mir Sorge, es gibt deutliche Überentwicklungen zu sehen, zwar noch weit westlich, aber man weiß ja nie…

Wir füllen den Tank randvoll – sechs Liter, wie peinlich! – und planen als nächste Station Eberswalde-Finow nordöstlich von Berlin. Von Westen her kommt eine ganz leichte Abschirmung, die die Tendenz zu Überentwicklungen zu hemmen scheint. Thermik ist selbstverständlich dennoch zu spüren, ich fliege den Falken jetzt wie sonst meine DG 100 beim Streckenflug: Von Wolke zu Wolke, im Aufwind ziehe ich die Fahrt weg und lasse den Flieger steigen, zwischen den Bärten geht´s mit über 100 Sachen auf dem Stau bergab. Über Neubrandenburg stehen fünf Meter, die kann ich mir nicht verkneifen, wir kurbeln mit dem Falken bis an die Basis bei 6.000 Fuß und gleiten den Rest der Etappe bis Eberswalde-Finow mit Halbgas dahin. Einmal Segelflieger, immer Segelflieger!

Eberswalde-Finow ist einfach riesig, die haben schon die Hälfte der ursprünglichen Landebahn mit Solarpanels belegt, der Rest ist immer noch beeindruckend lang. Da kommt man sich mit dem kleinen Motorsegler richtig verloren vor. Wir sind die einzigen Gäste an diesem Samstag-Nachmittag, halten uns nicht lange auf und starten schon bald wieder in Richtung Reinsdorf. Die dünnen Cirren oben halten die Thermik weiter im Zaum, der Weg östlich um Berlin herum ist zwar ruppig, aber noch nicht gewittrig.

Reinsdorf

Reinsdorf erreichen wir nach einen relativ kurzen Leg am späten Nachmittag, den letzten Schenkel im Süden von Berlin endlich mal mit Rückenwind. Chrysanthi und Lambert wirken reichlich überrascht uns zu sehen, wir hatten uns zwar telefonisch vor Wochen mal angekündigt, gerechnet haben sie mit uns irgendwie nicht. Und dann klopft mir am Segelflugstart Michael, ein alter Vereinskamerad aus Essweiler auf die Schulter. Den haben wir seit mindestens fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen, seit er für das Cargolifter-Projekt aus der Pfalz nach Berlin gezogen ist. Ist die Welt doch klein! Michael ist inzwischen Werkstattleiter beim Aero Club Berlin, hat seinen Condor noch, der früher immer so majestätisch über dem Königsberg in Essweiler hing. Wir kommen alle ins Quatschen und vergessen im Laufe des Abends nach einer Unterkunft zu suchen, die beste Copilotin und ich enden schließlich in einem verlassenen Wohncontainer auf dem Flugplatz. Gewitter hat’s übrigens auch noch gegeben – bloß nicht in Reinsdorf, dort ist zwar eine mächtige Böenwalze durchgezogen, aber kein Tropfen Regen gefallen. Der Falke durfte sicherheitshalber im Hangar neben einer Stearman übernachten.

Tanken in Lützelinden

Der Abschied am nächsten Morgen fällt schwer, wir wissen, dass dieser Trip nach zwei weiteren Etappen – Eisenach-Kindel und Gießen-Lützellinden jeweils zum Tanken – an diesem Abend zu Ende gehen wird. Wir werden dann rund 18 Stunden in der Luft gewesen sein, etwa 130 Liter Sprit verbraucht haben, zwölf Etappen, zwölf Mal Landegebühr – aber das, was wir erlebt haben, ist mit Geld sowieso nicht zu bezahlen. Und wir haben ihn echt lieben gelernt unseren alten Falken. Wilfried hat im Internet übrigens auch noch einen gefunden, ob er ihn gekauft hat, werden wir ihn beim nächsten Mal auf Langeoog fragen.

Fotos: Josy Zeyen

Text: Wolfgang Zeyen

Wolfgang

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